Wirkung auf die Schüler

Die nachfolgenden Ergebnisse wurden dem Bericht des unabhängigen externen Evaluators entnommen:

Bei den Schülern wurde in allen Klassen eine hohe Motivation für die einzelnen Themen erreicht. Die Unterrichtsstunden wurden als etwas Besonderes erlebt. Insofern hat das Projekt ein sehr hohes Wirkungspotenzial:

  • „Machen wir heute bitte wieder Erasmus?!“
  • „Machen wir wieder etwas mit Vorurteilen?!
  • „Endlich reden wir mal über so etwas, was auch im Fernsehen dran ist.“

Alle Schüler äußerten einhellig den Wunsch, dass weiterhin „solche Themen“ – „die wichtig sind für das Leben“ – in den Unterricht aufgenommen werden.

Die Wirkung ist beim einzelnen Schüler stark vom Vorwissen abhängig. Gerade auch die Vorprägungen durch das Elternhaus spielen eine große Rolle. Bei Meinungsäußerungen im Unterricht, aber auch in den Interviews war dies deutlich erkennbar.

  • „Ich spreche mit meinen Eltern oft über solche Sachen.“
  • „Mein Vater hat mir erklärt, dass Flüchtlinge ganz normale Menschen wie wir sind. Sie haben einen Beruf, hatten eine Wohnung und alles. Jetzt bin ich überrascht, dass es bei uns so viele Menschen gibt, die etwas gegen Flüchtlinge haben. Das verstehe ich nicht.“

Unterricht ist für die Schüler ein normales Standardritual – es gibt ihn einfach, er wird nicht hinterfragt. Die Unterrichtsstunden des Challenging-Extremism-Projekts stellten für sie hingegen eine Besonderheit dar, die nicht in den normalen Fächerkanon passt. Die Schüler erlebten den Unterricht gerade im Bezug zwischen Sache und Lehrerin. Für sie war die persönliche Bedeutung dieser Themen spürbar.

„Warum machst du das mit uns?“

 

Auswertung der Befragungsergebnisse nach den jeweiligen Unterrichtsstunden:

Die Schüler waren aufgefordert nach jeder Unterrichtseinheit individuell ihre Einschätzung bezüglich des Ergebnisses des Lernprozesses durch eine vierstufige Auswahlantwort festzuhalten.

Diese Zahlenwerte geben aber nicht den nach dem Lernprozess gegebenen Lernstand wieder. Sie spiegeln ein subjektives Empfinden über einen Lernzuwachs („… dass ich besser verstehe …“). Diese Relation zum Vorwissen wird damit nicht hergestellt, so dass die Antwort „eigentlich nicht“ bei hohem Vorwissen dennoch einen höheren Kenntnisstand bedeuten kann als bei der Antwort „auf jeden Fall“.

Für das Projektteam der Nürnberger Grundschulen war die Ausgangsfrage „wie können Grundschüler im Alter von 8 - 9 Jahren hinsichtlich dieser komplexen und abstrakten           Thematik erreicht und für eine Auseinandersetzung geöffnet werden?“.

Deshalb werden die Ergebnisse zunächst für die Klärung genutzt, wie viele Schüler vom Unterricht kaum oder nicht erreicht werden konnten:

 

Thema

Anzahl der Antworten „eigentlich nicht“ und „nein, überhaupt nicht“

①  Kinderrechte

 

2,7 %

②  Meinungen mitteilen

 

5,4 %

③  positiver Extremismus

 

8,1 %

④ „ich-du-wir“  (guter Mitbürger)

 

8,1 %

⑤  Meinungen respektieren

 

9,9 %

⑥  Vorurteile

 

12,6 %

⑦  Negat. Extremismus und Bedeutung für die Gesellschaft

 

12,6 %

⑧  Stereotyp

 

18,9 %

⑨  negativer Extremismus

 

19,8 %

⑩  pos. Extremismus und Bedeutung für die Gesellschaft

 

28,8 %

 

Erklärungshintergründe (aus den Schülerinterviews):

  • Thema ① betrifft die Schüler originär. Die Schüler spüren „es geht um mich“ im positiven Sinn. Lerner und Lernstoff sind identisch. Das Lernen ist bedeutungsvoll. Eine Wertschöpfung durch das Lernen ist offensichtlich.
  • Die Themen ② und ⑤ betreffen die tägliche Unterrichtspraxis, das tägliche soziale Zusammenleben. Dies wird im Fachunterricht Deutsch thematisiert, in den Umgangsformen und im Unterrichtsprozess täglich gefordert. D.h. hierzu ist ein breiter Erfahrungshintergrund vorhanden, auf den die Schüler das neue Lernen beziehen können.
  • Das Thema „ich-du-wir“ – Thema ④ -, das das Zusammenleben in der Gemeinschaft anspricht, ist durch die handlungsorientierte Umsetzung anregend und für die Gemeinschaft der Klasse bedeutungsvoll und hat einen konkreten (all-) täglichen Erfahrungshintergrund.
  • Das Thema „positiver Extremismus“ – Thema ③ - ist durch die exemplarische Konkretheit von Fallbeispielen interessant und motivierend.
  • Das Thema „Vorurteile“ – Thema ⑥ - ist für die Schüler kein Begriff auf der analytischen Metaebene. Stereotype Vorurteile gegenüber Gruppen wie „die Ausländer“, „die Muslime“ sind bei den Schülern keine Erfahrungswelt. Deshalb war es bei diesem Thema schwierig – trotz spielhandelnder Übungen – auf Beispiele der Schüler zurückzugreifen, bzw. von diesen auszugehen und diese zum Thema zu machen. „Du musst deine kulturelle Brille absetzen“ wurde zu einer Sprachform, die sehr anschaulich beschreibt, was es heißt, die Betrachtung des Gegenüber unvoreingenommen und nicht durch die „gewohnte Brille“ zu betrachten.
  • Für Themen wie „Bedeutung des positiven Extremismus für die Gesellschaft“ – Thema ⑩ -  fehlen Vorstellungshintergründe. Der gesellschaftliche Blick ist in dieser Altersstufe, die im Hier und Heute lebt, schwer durchschaubar und erklärbar.

Erkenntnisse:

  • Je näher die Thematik am Erleben der Schüler ist, desto mehr Betroffenheit entsteht aus dieser emotionalen Nähe. Diese wiederum schafft die Bedeutsamkeit für das Lernen durch den Schüler-Sache-Bezug.
  • Je besser die didaktische Reduktion die Inhaltsaspekte auf die Schülerebene, sein Erleben, seine Erfahrungen und auf die Konkretheit seiner Vorstellung transformieren konnte, je stärker hierbei das Prinzip des Exemplarischen („Exempla trahunt“) und das Prinzip der Handlungsorientierung zur Anwendung kamen, d.h. je intensiver die Betroffenheit war, umso breiter und intensiver waren die Schüler erreicht und aktiviert, umso so deutlicher wurde das Lernen zu ihrem Prozess  (vgl. 9.7 und 9.8).
  • Erreicht fühlten sich die Schüler dann, wenn sie eine Veränderung durch den Lernprozess spürten, unabhängig, welche Ergebnisqualität damit objektiv erreicht ist. Dies förderte die Lernzufriedenheit der Schüler, wenn sie Ist-Stand und Zugewinn individuell für sich positiv vergleichen konnten. Dadurch war ein signifikantes Lernen erreicht.
  • Die Ergebnisse aus dem Unterricht, aber auch aus den Interviews bestätigen, dass dies in einem sehr hohen Maß gelungen ist.

 

Nicht nach Lerneinheiten differenziert seien Teilergebnisse exemplarisch  dargestellt:      

  • „Ich-du-wir“  (being a good citizen) hat eine sehr tragfähige Ausgangsfolie für den Ausgleich von Individualität und sozialem Rahmen geschafft.
  • Die Förderung von Empathie als Voraussetzung für ein Miteinander mit Respekt, Toleranz und Wertschätzung war ein deutlich spürbares Ergebnis.
  • Der selbst gedrehte Film eines Streitgesprächs (zu miteinander diskutieren, seine Meinung mitteilen) war in methodisch vielfältiger Einsetzbarkeit eine didaktisch höchst wirkungsvolle Grundlage sehr differenzierte Wahrnehmungen und Ergebnisaussagen zu initiieren. Er motivierte umfassend Handlungsalternativen im Diskussionsverhalten zu entwickeln und zu erproben. Insbesondere ist in der Darstellung gelungen, eine plakative und vordergründige Schwarz-Weiß-Darstellung zu vermeiden. Dies macht den Film didaktisch sehr wertvoll.
    • „Das Thema ist wichtig. Ich möchte mich ja anders verhalten.“
  • Die Kinderbücher zu den Themen „Vorurteile“ und „Kinderrechte“ förderten maßgeblich die Empathiefähigkeit, forderten die Positionierung in den Aussagen und initiierten wertorientierte Sichtweisen für das Miteinander. Durch die bildliche Darstellung ist es sehr wirkungsvoll gelungen, dass die Ergebnisaussagen durch Anknüpfungs-, Erinnerungs- und Rekonstruktionsmöglichkeiten langfristig gesichert werden können.
    • „Es heißt nie ‚alle Flüchtlinge‘.“
    • „Manchmal ist ein Vorurteil auch gut. Wenn mir auf der Straße ein fremder Mann entgegen kommt, der mir komisch vorkommt, dann wechsle ich die Straßenseite. Aber ich weiß ja gar nicht, wie der ist.“
  • Ergänzend zu den medialen Qualitäten waren handlungsorientierte Maßnahmen – z.B. die Herstellung eines Lapbooks zum Thema „good citizen“ – und verschiedene Spielformen Planungselemente mit hoher Wirksamkeit.